Labor für Mikroskopische Modellierung von Materialeigenschaften und Prozessen
Leitung: Prof. Dr. Markus Bier
Das Labor zielt auf ein theoretisches Verständnis allgemeiner Eigenschaften von komplexen Fluiden und Festkörpern.
Komplexe Fluide (z.B. Elektrolytlösungen, mehrkomponentige Mischungen, Salzschmelzen, ionische Flüssigkeiten, Flüssigkristalle und kolloidale Suspensionen) und Festkörper sind gekennzeichnet durch eine Vielzahl relevanter Freiheitsgrade der sie konstituierenden Teilchen, z.B. deren Position, Orientierung und Konformation.
In diesem Labor wird daher insbesondere das Zusammenspiel der verschiedenen Längenskalen untersucht, die von der mikroskopischen Größe einzelner Fluidmoleküle und Festkörperatome über die Debye-Länge in Elektrolytlösungen oder dem Elektronenplasma im Leitungsband eines Festkörpers und der Korrelationslänge fast-kritischer Lösungsmittel bis zur mesoskopischen Größe kolloidaler Teilchen reichen.
Auf Grund des Vielteilchencharakters komplexer Fluide und Festkörper werden Methoden der statistischen Physik (insbesondere Dichtefunktionaltheorie) und Computersimulationen eingesetzt.
Dabei werden insbesondere folgende Themenfelder behandelt:
Phasenverhalten
Komplexe Fluide und Festkörper zeigen ein reichhaltiges Phasenverhalten, z.B. Separation zweier Flüssigkeitsphasen, eine Vielzahl von Festkörperphasen, multikritisches Verhalten in mehrkomponentigen Mischungen und Mesophasen flüssigkristalliner Materialien. Das Ziel ist es, die Vielzahl an Phasen und die Phasenübergänge zwischen ihnen mit den mikroskopischen Freiheitsgraden der konstituierenden Teilchen in Verbindung zu bringen.
Mikroskopische Struktur homogener Systeme
Konkurrierende Längen- und Zeitskalen komplexer Fluide und Festkörper führen zu nicht-trivalen Strukturen in den homogenen Systemen, z.B. die Bildung von Mikroheterogenitäten auf Grund eines antagonistischen Salzes in Lösungsmittelmischungen und die alternierende Ladungsstruktur in komplexen ionischen Fluiden. Da die mikroskopische Struktur homogener Systeme mit Hilfe von Streumethoden experimentell zugänglich ist, stellt sie einen Test für die verwendeten mathematischen Modelle dar.
Grenzflächenstrukturen
Die Grenzflächenstruktur komplexer Fluide und Festkörper wird für kurze Abstände bestimmt von molekularen Größen, für mittlere Abstände von der Korrelationslänge und, im Fall von ionischen Fluiden und Festkörpern, für große Abstände von der Debye-Länge. Diese Hierarchie von Längenskalen führt zu einer Vielzahl von Grenzflächenphänomenen, z.B. der Benetzung, der Grenzflächenspannung und der 'Solvation-Force'.
Benetzungsphänomene
Benetzungsphänomene eines Fluids in Kontakt mit einem Festkörper, z.B. vollständiges Benetzen und Teilbenetzung, 'Prewetting', Benetzungsübergänge erster Ordnung und kontinuierliche Benetzungsübergänge sowie kritische Adsorption, entstehen auf Grund von feinsten Details aller Wechselwirkungen innerhalb des Fluids und zwischen Fluid und Festkörper. Ein Verständnis dieser Wechselwirkungen ist essentiell für die Anwendung von Benetzungsphänomenen, z.B. des Elektrobenetzungseffekts ionischer komplexer Fluide.
Effective Wechselwirkungen
Die mesoskopische Beschreibung komplexer Fluide und Festkörper, bei der mikroskopische Details, z.B. die Eigenschaften des Lösungsmittels in kolloidalen Suspensionen, durch Materialkonstanten repräsentiert werden, erfordert Ausdrücke für die effektive Wechselwirkung der verbleibenden Freiheitsgrade, z.B. die abgeschirmte Coulomb-Wechselwirkung in Elektrolytlösungen und dem Elektronenplasma im Leitungsband eines Festkörpers sowie die 'Solvation-Force' zwischen kolloidalen Teilchen. Hierfür sind systematische und effiziente mathematische Verfahren zu entwickeln.
Dynamische Prozesse
Dynamische Prozesse in komplexen Fluiden und Festkörpern, z.B. die Gleichgewichtsfluktuationen in homogenen Phasen, die Relaxation einer Grenzfläche ins thermodynamische Gleichgewicht und die Strukturbildungsdynamik abseits des thermodynamischen Gleichgewichts, zeigen oftmals nicht-linearen und nicht-lokalen Charakter auf Grund zahlreicher Kopplungen zwischen einer Vielzahl von Freiheitsgraden. Diese Phänomene führen zu fundamentalen Fragen über das Verständnis von Systemen im thermodynamischen Nichtgleichgewicht.